AM59 – Brief an Walter Gropius
New York, Donnerstag, 16. Februar 1911


16. Febr

Mein geliebter

Ich bin voll Liebe und Entzücken – Dein Brief – Dein wunderbarer Brief – mit all dem Glitzernden – Warmen hat mir die Hel Herrlichkeit der Vergangenheit – und die Möglichkeit einer hellsten Zukunft gezeigt[.] –

Wie selig bin ich, dass Deine Freundin so von Dir wegmusste. Ich liebe Dich!! Bleib mir! —

Eine stärkere Feuerprobe kannst Du mir – Du Deinem Leben gegenüber Dir gar nicht ablegen – als dieser lange – finstere


Winter . . . . . es verlangt[.]

Schreibe mir alles! – Bist Du viel unter Menschen? – Unter Jungen? – Für mich bist Du die Jugend – sonst j such’ ich jetzt nur Anregung intellektueller Natur. Alles[,] was Jugend, Schönheit[,] Freude bedeutet – bist Du. Nie so wie heute – habe ich das Gefühl vollster Zusammengehörigkeit. —

Alles[,] was Du in diesen 3 großen Briefen schreibst – findet Echo in meiner Seele. Du bist so mein Mensch – ich kann mir eine Ver-

stimmung zwischen uns überhaupt nicht vorstellen. – Alles, Musik (von dem ich gerade heute zufällig wieder mit Freud gelesen habe)[,] was Du von dem Menschen sagst – den ich gut kenne u. liebe – über die – über die Welt . . . . alles, alles – trifft mich! Was Du über die „Welt“ – soweit sie Sinnenkitzel \ist/ – schreibst . . . . durchzieht mich wehevoll. Wie lange wird mein all dem standhalten können? Und – ich kann ja – jetzt so wenig thun – um Dich


an mich zu fesseln – ich — kann Dich nur lieben – und Deine heutigen Briefe machten, dass ich in dem seligsten Gefühl [.] vollkommenster Stolzlosigkeit mein Gesicht an Deine Brust – bette und fühle – mein Mann bist Du!

Du warst nie so reif – so voll als jetzt – ! —

Ja – mein Herz – ich liebe Dich! – — Es wird eine Zeit kommen und Du wirst es empfinden müssen — dass Du mir Anfang und Ende bist. –

— Ich liebe Dich[.] –


Schreibe mir – wohin Du gehst – wenn Du abends aus gehst – was für Menschen das sind – etc.

Ich habe gestern die Tochter vom kennen gelernt. Sie scheint mir ein wunderbares Frauenzimmer zu sein. – Sehr gescheit – vielleicht etwas zu männlich. Es gefiel mir, dass sie zum dinner ohne ein Stück Schmuck gekommen war – wo er doch die riesenhaftesten Steine besitzt – zum B z. B[.] die größte Perle der Welt. Etc. – Ein nobles Geschöpf. – Ich habe viel mit ihr über Religion und Kunst gesprochen.


Ich suche mir hier ein/en\ sehr schönen Kreis – aber meine Freude habe ich nur, wenn ich allein zu Hause – bei meinen Noten und Büchern u. bei meinem Clavier bin. Ich glaube jetzt festest, dass wir uns gegenseitiges unerschöpfliche Wonnen bereiten können[,] aber unsere Geister und Körper dürfen nie steryl werden. – Dafür müssen wir selber sorgen – nie nachlassen – uns for – vorwärts bringen – bereichern – uns schwängern mit allem Hohen Herrlichen – vor allem aber – mit Liebe. –

Dein Weib – Deine Braut.


Apparat

Überlieferung

, , , , , .

Quellenbeschreibung

3 Bl. (6 b. S.) – Briefpapier.

Beilagen

Umschlag, , Germany | Berlin W. | Nicolsburgerplatz 4. G. IV | Herrn Walter Gropius; PSt.: GRAND C[ENTRAL,] STA. N.Y. | FEB 21 | 1 – PM | 1911; von WG mit einer 14 (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen) sowie dem Empfangsdatum 1. März versehen; rückseitig: WG127.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

keine.

Datierung

Datiert durch AM und Poststempel: 16. Febr[uar] 1911.

Die auffallend große Spanne zwischen Schreib- und Absendetatum rührte wahrscheinlich von Erkrankung her, s. AM60 vom 11. März 1911: Gustav ist seit 3 Wochen ernst krank.

Übertragung/Mitarbeit


(Elke Steinhauser)
(Tim Reichert)


A

Fünffach unterstrichen.

B

Brief – einer von den 3 großen Briefen.

C

Deine Freundin – wahrscheinlich Fr.[au] Pullich (WG105 vom 17. bis 21. November 1910).

D

Ursprünglich: Dir.

E

3 großen BriefenWG116 vom 9. oder 10. Januar 1911, WG117 vom 19. bis 21. Januar 1911 und WG118 vom 23. Januar 1911, die möglicherweise in die Briefe Nr. 18–20 aus der Absendeliste WG92 einflossen.

F

Pippa tanzt – Märchendrama von . In Bibliothek befand sich eine Buchausgabe unter den , erschienen 1906 bei Fischer in Berlin (, S. 79).

G

was Du von dem Menschen H.[auptmann] sagst – den ich gut kenne u. liebe hatte 1904 anlässlich der Erstaufführung von kennengelernt und dessen Beziehung zu forciert (, S. 229).

H

Karamasoff – s. AM52 vom 9. Dezember 1910: Brüder Karamasov.

I

Unleserlich durchgestrichener Buchstabe.

J

Tochter von P. Morgan – eine der drei Töchter von , einem vermögenden Geldgeber der New York Philharmonic Society.